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Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 20.08.2004
Aktenzeichen: 6 Sa 656/04
Rechtsgebiete: KSchG 1999, BetrVG
Vorschriften:
KSchG 1999 § 1 Abs. 2 Satz 1 | |
KSchG 1999 § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 lit A | |
KSchG 1999 § 1 Abs. 4 | |
BetrVG § 95 Abs. 1 Satz 1 | |
BetrVG § 102 Abs. 1 |
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil
Verkündet am 20.08.2004
In dem Rechtsstreit
hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 6. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 20.08.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Corts sowie die ehrenamtlichen Richter Kotzwich und Maerz
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 27. Januar 2004 - 6 Ca 17438/03 - geändert.
2. Die Klage wird abgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die am ..... 1962 geborene, verheiratete und zwei Kindern unterhaltspflichtige Klägerin stand seit dem 30. August 1988 in den Diensten der Beklagten. Sie wurde als Montiererin gegen eine Vergütung nach LG 3 des Lohntarifvertrags für die Arbeiter der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg, Tarifgebiet I, in Höhe von zuletzt 1.753,50 € brutto monatlich beschäftigt.
Am 14. Mai 2003 vereinbarte die Beklagte mit dem Betriebsrat des Beschäftigungsbetriebs der Klägerin einen Interessenausgleich (Abl. Bl. 33 - 37 d.A.), worin eine Personalreduzierung von 708 auf 600 Mitarbeiter bis Ende September 2003 vorgesehen war. Nach § 5 des zugleich geschlossenen Sozialplans (Abl. Bl. 39 - 46 d.A.) sollte die soziale Auswahl zwischen den Mitarbeitern der LG 1 bis 4 einerseits und der LG 5 bis 8 andererseits vorgenommen werden, wofür folgendes Punkteschema zur Bewertung der sozialen Kriterien vereinbart wurde:
- Dienstzeit: bis zu 10 Dienstjahren für jedes volle Dienstjahr ein Punkt; ab dem 11. Dienstjahr für jedes volle Dienstjahr 2 Punkte , wobei nur die Zeiten bis zum vollendeten 55. Lebensjahr berücksichtigt werden
- Lebensalter: für jedes volle Lebensjahr ein Punkt, wobei lediglich die Lebensjahre bis zum vollendeten 55. Lebensjahr berücksichtigt werden
- Unterhaltspflichten: je unterhaltsberechtigter Person 5 Punkte.
Als unterhaltsberechtigt im Sinne dieser Vereinbarung gelten
- Kinder, für die ein Elternteil Kindergeld bezieht
- Ehegatten ohne eigenes Einkommen. (Auswertung über Steuerklasse 3 und Befragung des MA. Die Nachweispflicht liegt beim Mitarbeiter)
Die Mitarbeiter sollten in der Reihenfolge der danach festgestellten Punktezahl ausgewählt werden, wobei für Härtefälle eine einvernehmliche Lösung zwischen der Beklagten, dem Mitarbeiter, dem Betriebsrat und dem Sozialdienst der Beklagten vorgesehen war. Nach der daraufhin aufgestellten Liste sämtlicher 179 Mitarbeiter des Betriebs in LG 1 bis 4 (Abl. Bl. 50 - 52 d.A.) befand sich die Klägerin mit 69 Sozialpunkten auf Platz 28.
Mit am folgenden Tag übergebenem Schreiben vom 17. Juni 2003 (Abl. 56 - 59 d.A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin und mindestens weiterer 67 Mitarbeiter an. Einige Kündigung hatte sie wegen der noch einzuholenden Zustimmung des Integrationsamtes zurückgestellt. In der Auswahlliste vom selben Tag (Abl. Bl. 142 bis 144 d.A.) wurde die Klägerin mit Rücksicht darauf, dass diverse Mitarbeiter inzwischen höhergruppiert, als in Mutterschutz bzw. Elternzeit befindlich oder als Härtefälle anerkannt aus der Sozialauswahl herausgenommen worden waren, auf Platz 21 geführt.
Mit einem der Klägerin per Boten am 28. Juni 2003 überbrachten Schreiben vom 25. Juni 2003 kündigte die Beklagte fristgemäß zum 30. November 2003.
Das Arbeitsgericht Berlin hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst worden sei, und die Beklagte zugleich zur vorläufigen Weiterbeschäftigung der Klägerin verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte sei ihrer Last zur Darlegung eines Arbeitskräfteüberhangs von 63 Arbeitnehmern der Lohngruppen 1 bis 4 nicht nachgekommen. Da die Kündigung unwirksam sei, habe die Klägerin einen vertraglichen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung. Umstände, die ein überwiegendes Interesse der Beklagten an einer Nichtbeschäftigung der Klägerin begründet hätten, seien nicht vorgebracht worden.
Gegen dieses ihr am 23. Februar 2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 16. März 2004 eingelegte und am 23. April 2004 begründete Berufung der Beklagten. Sie vertieft ihren Vortrag zu ihrer Planung von 318.000 Fertigungsstunden für das Geschäftsjahr 2003/04. Unter Berücksichtigung von 40 % Gemeinkostenstunden habe sich der Gesamtstundenbedarf auf 530.000 Stunden belaufen. Bei einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 1.452 Stunden im Jahr pro Arbeitnehmer habe sich ein Personalbedarf von 365 Arbeitnehmern errechnet, den man auf 380 aufgerundet habe. Da die 40 % Gemeinkostentätigkeit künftig vollständig von den Mitarbeitern der LG 5 bis 8 hätten übernommen werden sollen und von den 60 % Fertigungstätigkeiten lediglich 40 % solche der LG 1 bis 4 gewesen seien, habe sich für diese Beschäftigtengruppe nur noch ein Bedarf von (380 x 60 % x 40 % =) 90 Mitarbeitern ergeben. Bei 172 Mitarbeitern in Lohngruppe 1 bis 4 sei abzüglich elf bereits feststehenden Abgängen und weiterer acht Abgänge nach Einleitung der Betriebsratsanhörung zuletzt noch ein Personalüberhang von 63 Mitarbeitern verblieben.
Einen freien Arbeitsplatz habe es nicht gegeben. Die von der Klägerin angeführte, nach Ausspruch der Kündigung in einem anderen Berliner Betrieb frei gewordene, ohnehin nur bis zum 31. März 2004 befristet gewesene Stelle sei mit einem dortigen Mitarbeitern besetzt worden.
Da es sich bei den nach LG 1 bis 4 vergüteten Tätigkeiten durchweg um Anlern- bzw. Hilfsarbeiten handele, sei die Sozialauswahl unter allen diesen Mitarbeitern durchgeführt worden. Von der Sozialauswahl seien neben 16 tarifvertraglich "unkündbaren" Mitarbeitern auf Platz 164 - 179 die in Elternzeit befindlichen und die zuletzt 14 Härtefälle ausgenommen worden, was man auf der Gesamtliste aller Mitarbeiter mit einem Punkt gekennzeichnet habe. Die Anerkennung als Härtefall sei nach Durchführung der Punktbewertung gemäß dem Sozialplan unter Beteilung des Betriebsrats aufgrund folgender Kriterien erfolgt:
1. allein erziehend, mindestens 2 unterhaltspflichtige Kinder ohne eigenes Einkommen,
2. verheiratet, mindestens 3 unterhaltspflichtige Kinder ohne eigenes Einkommen, Ehemann ohne eigenes Einkommen oder arbeitslos oder
3. verheiratet, 2 Kinder, Ehemann ohne Einkommen und erkrankt/ nicht arbeitsfähig, unverschuldete Privatinsolvenz läuft.
Diese Einzelfallbetrachtung habe zunächst zur Anerkennung von zehn Härtefällen geführt. Auf Betreiben des Betriebsrats seien nach Einleitung des Anhörungsverfahrens noch vier weitere Mitarbeiterinnen als Härtefall anerkannt worden, woraufhin der Betriebsratsvorsitzende am 23. Juni die Liste mit den endgültig ausgewählten Mitarbeitern gegengezeichnet habe. Dabei habe der Betriebsratsvorsitzende auch erklärt, dass es keine Stellungnahme des Betriebsrats mehr zu den beabsichtigten Kündigungen geben werde
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Änderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält einen Personalüberhang weiterhin für rechnerisch nicht nachvollziehbar, bestreitet die Übertragbarkeit sämtlicher Gemeinkostentätigkeiten auf die Mitarbeiter der LG 5 bis 8 und stellt die Richtigkeit der Daten für die Vergabe der Sozialpunkte bei einer Reihe ihrer Kolleginnen infrage.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung ist von der Beklagten fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 519, 520 Abs. 1 u. 3 ZPO, § 66 Abs. 1 Satz 1 u. 2 ArbGG). Das Fehlen von Ausführungen zum Weiterbeschäftigungsantrag war unschädlich, weil es sich dabei um einen sog. Folgeanspruch handelte (vgl. BAG, Urteil vom 0.2.04.1987 - 2 AZR 418/86 - AP BGB § 626 Nr. 96 zu B I 1 der Gründe).
2. Die Berufung ist begründet.
2.1 Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 25. Juni 2003 fristgemäß zum 30. November 2003 aufgelöst worden.
2.1.1 Die Kündigung des gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unter Kündigungsschutz stehenden Arbeitsverhältnisses der Klägerin war nicht sozial ungerechtfertigt. Sie war vielmehr durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die ihrer Weiterbeschäftigung im Betrieb der Beklagten entgegenstanden (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 KSchG).
2.1.1.1 Die Entscheidung des Arbeitgebers, den Personalbestand auf Dauer zu reduzieren, gehört zu den sog. unternehmerischen Maßnahmen, die zum Wegfall von Arbeitsplätzen führen und damit den entsprechenden Beschäftigungsbedarf entfallen lassen können. Das Vorliegen einer solchen Entscheidung und der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs ist von den Gerichten für Arbeitssachen voll nachzuprüfen (BAG, Urteil vom 17.06.1999 - 2 AZR 522/98 - BAGE 92, 61 = AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 102 zu II 1 a der Gründe). Darüber hinaus ist eine unternehmerische Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und Dauerhaftigkeit durch entsprechenden Tatsachenvortrag zu verdeutlichen, um dem Gericht im Hinblick auf die Darlegungslast des Arbeitgebers gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG eine Überprüfung zu ermöglichen, ob sie nicht etwa offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (BAG, Urteil vom 17.06.1999 - 2 AZR 141/99 - BAGE 92, 71 = AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101 zu II 2 b der Gründe). Diesen Anforderungen hat die Beklagte genügt.
2.1.1.2 Die Beklagte hat anhand ihrer Zwölf-Monats-Planung für das Geschäftsjahr 2003/04 (Abl. 139 d.A.) mit den Fertigungsstunden der einzelnen Bereiche nachvollziehbar dargelegt, wie sie unter Berücksichtigung eines hinzuzurechnenden Gemeinstundenanteils von 40 % der sich dadurch ergebenden Gesamtstundenzahl und nahezu vollständiger Übertragung dieses Anteils auf die Mitarbeiter der LG 5 bis 8 bei einer vertraglichen Jahresarbeitszeit des einzelnen Mitarbeiters von 1827 Stunden abzüglich 375 Ausfallstunden auf einen Bedarf von lediglich noch ca. 90 Mitarbeitern in LG 1 bis 4 gekommen ist. Dass sich die genaue Zahl auf 91,2 Mitarbeiter belief, war unschädlich, weil die Beklagte vorher einen deutlich höheren Aufschlag von 25 auf den ermittelten Gesamtbedarf von an sich nur 365 Mitarbeitern vorgenommen hatte.
Dafür, dass die Beklagte diese Daten nur für die Zwecke des Rechtsstreits manipuliert hätte und diese nicht die tatsächliche betriebliche Situation widerspiegelten, ist nichts hervorgegangen. Ihre darauf basierende unternehmerische Entscheidung, entsprechend vieler Arbeitsplätze in LG 1 bis 4 dauerhaft in Wegfall zu bringen, hat dann auch im Interessenausgleich mit dem mit den Gegebenheiten vertrauten Betriebsrat ihren Niederschlag gefunden.
2.1.1.3 Die gegen die Durchführbarkeit der unternehmerischen Entscheidung der Beklagten vorgebrachten Einwände der Klägerin waren nicht geeignet, diese als offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich erscheinen zu lassen.
Soweit die Klägerin gemeint hat, die Beklagte sei nach eigenen Angaben sogar von einem Anstieg des Stundenvolumens gegenüber dem Vorjahr um 14.000 Fertigungsstunden ausgegangen, hat sie übersehen, dass die von ihr herangezogene Vergleichszahl den Gemeinkostenanteil bereits enthält. Zur Erläuterung ihrer Zwölf-Monats-Planung hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass die Angabe von 185.(000) Stunden im Bereich SNP (Synchrone Netzwerk-Produkte) die Summe aus 115.000 und 70.000 Stunden für SDH (Synchrone Digitale Hierarchie) und MSI (Multi Service Integrater) umfasst.
Soweit die Klägerin moniert hat, einzelne Gemeinkosten verursachende Tätigkeiten könnten nicht von Mitarbeitern der LG 5 bis 8 übernommen werden, trifft dies zwar für Übungen, Neu- und Umlernen naturgemäß durchaus zu, bewegt sich aber ausweislich der Auswertung der Beklagten vom 13.11.2003 (Abl. Bl. 141 d.A.) im einstelligen Prozentbereich und ist angesichts des eingeplanten personellen Puffers nicht geeignet, Durchführbarkeit und Dauerhaftigkeit der unternehmerischen Entscheidung der Beklagten infrage zu stellen. Die ebenfalls angesprochenen sog. Pausen- und Betriebsratslöhne gehören zwar ebenfalls zu den Gemeinkosten; hinter ihnen stehen jedoch keine anderweit zu verteilenden Tätigkeiten.
Der pauschalen Behauptung von Überstunden in erheblichem Umfang und der Wiedereinführung von Samstagsarbeit ist die Beklagte mit dem unwidersprochen gebliebenen Hinweis auf Produktionsschwankungen entgegengetreten, deren Folgen für den Einsatz der Mitarbeiter über die Führung von Arbeitszeitkonten im Laufe eines Jahres wieder ausgeglichen würden.
Für die Richtigkeit der Darstellung der Beklagten sprach schließlich noch indiziell, dass sie sich aufgrund der hinter ihren Erwartungen sogar noch zurückgebliebenen Entwicklung inzwischen zu einer weiteren Entlassung von 55 Mitarbeitern der LG 1 bis 4 veranlasst gesehen hat, für die sie sich auf eine mit dem Betriebsrat aufgestellte Namensliste stützen kann, auf der vorsorglich auch die Klägerin aufgeführt ist.
2.1.1.4 Es war nicht ersichtlich, dass die Kündigung durch eine Versetzung der Klägerin in einen anderen Betrieb der Beklagten in Berlin hätte vermieden werden können. Die von der Klägerin zur Akte gereichte Stellenausschreibung (Abl. Bl. 78 d.A.) bezog sich auf einen Arbeitsplatz, der in dem anderen Betrieb erst im Laufe der Kündigungsfrist frei geworden ist und auch nur bis zum 31. März 2004 zu besetzen war.
2.1.1.5 Die Kündigung war nicht wegen Verstoßes gegen die im Rahmen des Sozialplans vom 14. Mai 2003 als dessen § 5 vereinbarte Auswahlrichtlinie als sozialwidrig anzusehen.
2.1.1.5.1 Soweit § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 lit. a KSchG die Sozialwidrigkeit einer Kündigung bei einem Verstoß gegen eine Auswahlrichtlinie nach § 95 BetrVG vom Widerspruch des Betriebsrats abhängig macht, steht dies der Berücksichtigung eines solchen Verstoßes im Rahmen des Satzes 1 nicht entgegen. Mit § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG sollte eine Verbesserung des Kündigungsschutzes erreicht werden, weshalb die dort genannten Gründe zumindest insoweit auch weiterhin nach Satz 1 zu berücksichtigen sind, wie dies im Falle einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit schon bisher anerkannt war (BAG, Urteil vom 17.05.1984 - 2 AZR 109/83 - BAGE 46, 191 = AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 21 zu C II 3 d der Gründe). Dies soll aber mit Rücksicht auf die gesetzgeberische Zielvorstellung auch hinsichtlich solcher Gründe gelten, die nicht bereits vor Inkrafttreten des BetrVG 1972 bei der Prüfung der Sozialwidrigkeit zu berücksichtigen waren (KR/Etzel, 7. Aufl., 2004, § 1 KSchG R 708). Dafür spricht, dass Auswahlrichtlinien in Form von Betriebsvereinbarungen geschlossen werden, die gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbar und zwingend gelten (Kittner/Däubler/Zwanziger, Kündigungsschutzrecht, 6. Aufl., 2004, § 102 BetrVG R 241 u. 242).
2.1.1.5.2 Es war bereits zweifelhaft, ob die Kündigung gegen die Auswahlrichtlinie vom 14. Mai 2003 verstieß.
Die Auswahlrichtlinie sah ausdrücklich die Berücksichtigung von Härtefällen vor. Es erschien auch durchaus vertretbar, wenn die dafür eingesetzte Härtefallkommission auf Betreiben des Betriebsrats dem Umstand besonderes Gewicht beimaß, dass eine Mitarbeiterin nicht nur mindestens zwei Kindern unterhaltspflichtig war, sondern darüber hinaus allein erziehend oder mit einem Mann verheiratet, der aufgrund seiner gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Situation mangels eigener Einkünfte nichts zum Familieneinkommen beizutragen vermochte. Damit wurden die Unterhaltspflichten dieser Kolleginnen nicht etwa doppelt berücksichtigt, sondern dem Fehlen einer Entlastung durch einen weiteren Unterhaltspflichtigen Rechnung getragen. Hierbei handelte es sich durchaus auch um einen persönlichen Umstand dieser Kolleginnen (zu diesem Erfordernis BAG, Urteil vom 18.01.1990 - 2 AZR 357/89 - BAGE 64, 32 = AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 19 zu II 5 der Gründe). Es verhielt sich insoweit nicht anders als bei der Möglichkeit, den Verdienst eines Ehegatten bei der Beurteilung der sozialen Schutzbedürftigkeit (negativ) zu berücksichtigen (dazu BAG, Urteil vom 05.12.2002 - 2 AZR 549/01 - NZA 2203, 791 zu B III 5 a.E. der Gründe).
2.1.1.5.3 Zumindest hätte ein Verstoß gegen die Auswahlrichtlinie in § 5 des Sozialplans für sich allein keine weitergehende Wirkung entfalten können als ein deshalb erhobener Widerspruch des Betriebsrats.
2.1.1.5.3.1 Einem Betriebsrat ist es versagt, seinen Widerspruch wegen fehlerhafter Sozialauswahl gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG mehrfach auf die Weiterbeschäftigung desselben weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmers zu stützen (BAG, Urteil vom 09.07.2003 - 5 AZR 305/02 - AP BetrVG 1972 Weiterbeschäftigung Nr. 14 zu I 2 b der Gründe). Gleiches gilt für einen Widerspruch gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG wegen der Möglichkeit einer Beschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen Arbeitsplatz (so wohl BAG, Urteil 06.12.1984 - 2 AZR 542/83 - RzK III 1 e Nr. 3 zu B II 3 der Gründe). Dann kann aber auch im Falle des Widerspruchs wegen eines Verstoßes gegen eine Auswahlrichtlinie nichts anderes gelten mit der Folge, dass der Betriebsrat bei einer unzulässigen Begünstigung einzelner Arbeitnehmer mit seinem Widerspruch auch nur zu Gunsten der gerade deshalb nunmehr ausgewählten Arbeitnehmer intervenieren kann. Nur deren Kündigung verstieße gegen die Auswahlrichtlinie. Wer dagegen aufgrund der Auswahlrichtlinie ohnehin schon zu den zu entlassenden Arbeitnehmern gehörte, dessen Kündigung kann durch eine Herausnahme anderer nicht berührt werden.
Insoweit verhält es sich anders als bei einer nicht durch eine Auswahlrichtlinie vorgezeichneten Sozialauswahl. Hier müsste das Gericht, wenn der Arbeitgeber einen sozial weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmer verschont und sich mehrere Arbeitnehmer darauf berufen können, seine eigene Wertung an die Stelle der Auswahlentscheidung des Arbeitgebers setzen, was als nicht angängig angesehen wird (dazu BAG Urteil vom 18.10.1984 - 2 AZR 543/83 - BAGE 47, 80 = AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 6 zu B 4 d der Gründe; a.A. Wylka Bütefisch, Die Sozialauswahl, 2000, 354 ff; diff. KR/Etzel 7. Aufl., 2004, § 1 KSchG R 658).
Bei Anwendung einer Auswahlrichtlinie besteht zudem die Besonderheit, dass auf eine abschließende Einzelfallbeurteilung sogar verzichtet werden kann (Preis RdA 1999, 311, 320; Quecke RdA 2004, 86, 89).
2.1.1.5.3.2 Da sich die Klägerin bereits auf der ursprünglich in Anwendung der Auswahlrichtlinie erstellten Liste nur auf Platz 28 befunden hatte, konnte die Anerkennung der nur zum geringen Teil vor, zum größten Teil aber ohnehin hinter ihr rangierenden 14 Kolleginnen als Härtefall und deren deshalb erfolgte Streichung von der Liste keinen Einfluss auf die beabsichtigte Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses haben. Dies gilt in gleicher Weise, wie die Klägerin die Herausnahme der ursprünglich auf Platz 6 und 21 rangierenden Kolleginnen mit lediglich 60 bzw. 65 Sozialpunkten beanstandet hat, die sich nach Darstellung der Beklagten in der Elternzeit befinden sollen.
2.1.2 Die Kündigung war nicht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 KSchG 1999 wegen unzureichender Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte bei der Auswahl der Klägerin sozial ungerechtfertigt.
2.1.2.1 Es war nicht zu beanstanden, dass die Beklagte alle Arbeitnehmer der LG 1 bis 4 in einen Gesamtvergleich einbezogen und nicht nach einzelnen Lohngruppen differenziert hat.
2.1.2.1.1 Dabei konnte dahinstehen, ob auch insoweit nur der Maßstab grober Fehlerhaftigkeit gemäß § 1 Abs. 4 KSchG 1999 anzulegen war (dafür LAG Hamm, Urteil vom 26.09.2001 - 3 Sa 916/01 - AP BetrVG 1972 Nr. 40 zu B I 3 c, cc der Gründe; insoweit nicht beanstandet von BAG, Urteil vom 05.12.2000 - 2 AZR 697/01 - AP KSchG 1969 Soziale Auswahl Nr. 60 zu B I 3 b, aa der Gründe; Kittner/Däubler/Zwanziger, Kündigungsschutzrecht, 6. Aufl., 2004, § 1 KSchG R 493c). Jedenfalls besteht bei entsprechenden Festlegungen durch die Betriebspartner eine erhöhte Richtigkeitsgewähr (BAG, Urteil vom 15.06.1989 - 2 AZR 580/88 - BAGE 62, 116 = AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 18 zu B II 2 e, bb der Gründe).
2.1.2.1.2 Vorliegend kam hinzu, dass nach LG 1 bis 4 durchweg Hilfsarbeiten und Anlerntätigkeiten vergütet werden, wobei der LRTV Arb MetInd Bln für die Eingruppierung keine abstrakten Tätigkeitsmerkmale nennt, sondern es in Nr. 2.2 Abs. 2 bei einer Verweisung auf zwei Bände mit Tarifbeispielen gemäß dem gekündigten MTV Arbeiter vom 20. Oktober 1961 belassen hat, welche die heute anfallenden Tätigkeiten ohnehin nur völlig unzureichend erfassen, weshalb in den Betrieben vielfach eine Art Zeit- oder Bewährungsaufstieg praktiziert wird. Demgegenüber findet sich gemäß Nr. 2.1.2 LTV Arb MetInd BlnBrdbg I in LG 5 der sog. Ecklohn für entsprechend qualifizierte Arbeiter, weshalb die Klägerin nicht verlangen konnte, mit Mitarbeitern dieser Lohngruppe verglichen zu werden (eb. LAG Berlin, Urteil vom 10.05.2004 - 10 Sa 2597/03 - zu 2.3.1 der Gründe). Dies gilt auch dann, wenn sie tatsächlich in der Lage gewesen sein sollte, nach ca. vierwöchiger Einarbeitszeit eine nach LG 5 vergütete Tätigkeit zu übernehmen, was sie indessen ohnehin nicht näher dargelegt hat.
2.1.2.1.3 Selbst wenn man die Klägerin nur mit angelernten Mitarbeitern ihrer Lohngruppe für vergleichbar zu halten hätte, ergab sich doch aus der ursprünglichen Mitarbeiterliste, dass die Beklagte davon zahlreiche mit deutlich mehr Sozialpunkten weiterbeschäftigt hat, hinter denen die Klägerin hätte zurücktreten müssen.
2.1.2.2 Soweit es im Vorfeld des Personalabbaus zu mindestens fünf Höhergruppierungen nach LG 5 gekommen war, ließ sich schon nicht erkennen, dass dies geschehen war, ohne dass die tarifvertraglichen Voraussetzungen hierfür erfüllt waren. Dagegen sprach bereits indiziell die gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vorgeschriebene Beteiligung des Betriebsrats.
Zudem waren diese Höhergruppierungen ohnehin nicht kausal für die Auswahl der Klägerin. Zum einen war die Klägerin bereits vor diesen Höhergruppierungen auf Platz 28 bei zuletzt immer noch 63 erforderlichen Kündigungen zu finden. Zum Anderen hätte sich ohne die Höhergruppierungen die Zahl der in LG 1 bis 4 zu Entlassenden entsprechend erhöht, um die unternehmerische Entscheidung der Beklagten zu realisieren, nur noch insgesamt 90 Arbeitnehmer in diesen Lohngruppen dauerhaft weiter zu beschäftigen.
2.1.2.3 Die soziale Auswahl war gemäß § 1 Abs. 4 KSchG 1999 nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen.
2.1.2.3.1 Es ist unschädlich, dass die von der Beklagten mit ihrem Betriebsrat vereinbarte Auswahlrichtlinie Bestandteil des Sozialplans vom 14. Mai 2003 war. Auch ein Sozialplan hat gemäß § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG die Wirkung einer Betriebsvereinbarung; lediglich die Tarifschranke des § 77 Abs. 3 BetrVG ist gemäß § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG nicht zu beachten. Zur damaligen Rechtslage wurde zum Teil sogar die Vereinbarung im Rahmen eines Interessenausgleichs für ausreichend erachtet (Preis RdA 1999, 311, 320).
2.1.2.3.2 Als grob fehlerhaft i.S.d. § 1 Abs. 4 KSchG 1999 war es anzusehen, wenn eine der unerlässlichen Sozialdaten Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten unberücksichtigt blieb oder eindeutig unzureichend oder übermäßig berücksichtigt wurde (KR/Etzel, 6. Aufl., 2002, § 1 KSchG R 697). Dabei sollte auch die Auswahlentscheidung selbst diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab unterliegen (Lakies NJ 1999, 74, 76). Es mussten so erhebliche Fehler vorliegen, dass nicht mehr ernsthaft von einer Auswahl unter Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte gesprochen werden konnte (vgl. Gaul/Lunk NzA 2004, 184, 190).
2.1.2.3.3 Von grober Fehlerhaftigkeit der Auswahl der Klägerin kann angesichts dessen, dass die Betriebszugehörigkeit ihrer als Härtefall anerkannten Kolleginnen durchweg ebenfalls im zweistelligen Bereich lag, diese ein Lebensalter von mindestens 40 Jahren erreicht und im Gegensatz zu ihr mehreren Personen rechtlich oder zumindest tatsächlich allein unterhaltspflichtig waren, keine Rede sein. Es kann einem Arbeitgeber nicht verwehrt werden, besonders schwerwiegende soziale Gesichtspunkte, die in der Auswahlrichtlinie keinen Niederschlag gefunden haben, zusätzlich zu berücksichtigen (KR/Etzel, 7. Aufl., 2004, § 1 KSchG R 699).
Soweit von der Klägerin in tatsächlicher Hinsicht bei einer Reihe weiterer Kolleginnen das Vorliegen bei der Punktevergabe zu berücksichtigender Umstände in Abrede gestellt worden ist, hat sie dafür entgegen § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG schon keinen Beweis angetreten. Grobe Fehlerhaftigkeit war zudem ohnehin nicht erkennbar.
2.1.2.4 Die von der Klägerin behaupteten Fehler bei der Punktevergabe hätten auf die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses keinen Einfluss gehabt. Es galten insoweit dieselben Erwägungen, wie unter 2.1.1.5.3 dargestellt. Steht fest, dass sich ein Auswahlfehler nicht zu Gunsten eines Arbeitnehmers auswirken kann, ist es diesem nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB verwehrt, sich darauf zu berufen (LAG Hamm, Urteil vom 31.08.1999 - 10 (19) Sa 1907/93 - LAGE KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 13 zu 2 c der Gründe; Kiel/Koch, die Betriebsbedingte Kündigung, 2000, R 401 ff).
2.1.3 Die Kündigung war nicht wegen unzureichender Anhörung des Betriebsrats entsprechend § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.
2.1.3.1 Der Betriebsrat ist am 18. Juni 2003 mit einem Schreiben vom Vortag über die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin unterrichtet worden. Dass erst danach noch vier weitere ihrer Kolleginnen als Härtefall anerkannt worden sind, ist kein Gesichtspunkt, der für die beabsichtigte Entlassung der Klägerin von Bedeutung war. Abgesehen davon, dass drei dieser Kolleginnen ohnehin eine höhere Punktzahl als die Klägerin aufwiesen, ist durch die Anerkennung der zusätzlichen vier Härtefälle nicht einmal ein weiterer in den Kreis der zu entlassenden Mitarbeiter nachgerückt, weil zugleich durch das einvernehmliche Ausscheiden acht anderer Mitarbeiter mit höherer Punktzahl im Ergebnis sogar vier Kündigungen weniger auszusprechen waren. Zudem wird allein dadurch, dass der Arbeitgeber bei im Übrigen korrekter Anhörung zu einer Mehrzahl von Kündigungen Änderungswunsche des Betriebsrats aufgreift und verwirklicht, keine erneute Anhörungspflicht begründet (BAG, Urteil vom 07.12.1995 - 2 AZR 1008/94 - AP KSchG 1969 Soziale Auswahl Nr. 29 zu II 1 b der Gründe).
2.1.4.2 Bei Übergabe des Kündigungsschreibens am 26. Juni 2003 war somit die Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 2 BetrVG abgelaufen (§§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB), weshalb die Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 2 Satz 2 BetrVG als erteilt gilt. Auf die Frage, ob in der Unterzeichnung der endgültigen Kündigungsliste durch den Betriebsratsvorsitzenden, die von der Beklagten im Verhandlungstermin in Ablichtung zur Akte gereicht worden ist, eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats zu sehen ist, kommt es deshalb nicht an.
2.1.4.3 Das Anhörungsschreiben vom 17. Juni 2003 entspricht auch inhaltlich den Anforderungen des § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Dass dem Anhörungsschreiben die darin aufgeführten Unterlagen beigelegen haben, ist von der Klägerin ohne greifbare Anhaltspunkte aufs Geratewohl in Zweifel gezogen worden und war deshalb gemäß § 138 Abs. 1 ZPO unbeachtlich.
2.2 Über den Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung der Klägerin war nicht mehr zu befinden, weil dieser nur für den Fall des Obsiegens mit ihrem Kündigungsschutzantrag gestellt war.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG aufgrund diverser höchstrichterlich noch nicht geklärter Rechtsfragen wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Ende der Entscheidung
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